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Musik in schwierigen Zeiten 346

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

ein virtuoses Klavierstück von Robert Schumann soll Sie heute in das Wochenende geleiten: Die Sinfonischen Etüden op. 13.

Schumanns Sinfonische Etüden gehören heute zu den bekanntesten, beliebtesten und am häufigsten auf Tonträgern eingespielten seiner revolutionären frühen Klavierwerke. Sie existieren in drei zum Teil erheblich voneinander abweichenden Fassungen, die den Zeitraum vom Herbst 1834 (Beginn der nur handschriftlich überlieferten Fantaisies et Finale bzw. Variations pathétiques), dem Erstdruck als XII Etudes Symphoniques op. 13 von 1837 bis zu dessen Neuausgabe von 1852 umfassen – erst in dieser letzten Version fand das Werk rasch Eingang ins Repertoire.

Die Anregung zu diesem von Anfang an groß angelegten Variationszyklus verdankte Schumann dem Hauptmann von Fricken, dem Adoptivvater seiner damaligen Braut Ernestine, der als Amateur Flöte blies und komponierte. Fricken hatte ihm Variationen über ein eigenes Thema in cis-Moll zur Begutachtung überlassen. In einem Brief vom 19. September 1834, geht er ausführlich auf dieses (leider verlorene) Werk ein und entwickelt dabei zugleich seine Vorstellungen von der Gattung. Schumann verwendet Frickens Thema schließlich, um ein eigenes Werk daraus zu schaffen: „Ich selbst habe über Ihr Thema in diesen Tagen Variationen geschrieben, die ich ,pathetischeʻ nennen will; doch hab’ ich versucht, das Pathetische, wenn etwas davon drinnen ist, in verschiedene Farben zu bringen.“ Am 18. Januar 1835 beendete Schumann das Werk, das im Autograph zunächst tatsächlich mit Variations pathetiques, dann mit Fantaisies et Finale überschrieben war und trotz vieler Streichungen, Korrekturen und Umstellungen in der Reihenfolge der Stücke durchaus einen geschlossenen Werkcharakter besitzt, was auch die Widmung an die Gattin des Barons von Fricken beweist.

Da ein Angebot an Breitkopf & Härtel im Dezember 1835, das Werk unter dem neuen Titel Variations Symphoniques herauszugeben, scheiterte, blieb das ambitionierte Projekt zunächst liegen; auch der renommierte Leipziger Verlag Peters wollte es – mit einer Widmung an den neuen erfolgreichen Leiter der Gewandhauskonzerte, den von Schumann bewunderten Freund Felix Mendelssohn Bartholdy – im April 1836 nicht drucken. Schließlich erklärte sich Haslinger in Wien, der sich zuvor ablehnend verhalten hatte, doch bereit, das Werk unter dem Titel „Etüden im Orchestercharakter von Florestan und Eusebius“ zu veröffentlichen – so heißt es in einer Verlagsanzeige im Mai 1836.

Doch den entscheidenden Impuls zur endgültigen Gestalt verdankt Schumann erst der inspirierenden Begegnung mit Frédéric Chopin in Leipzig am 12. September 1836. Damals spielte Chopin im kleinen Kreis, zu dem auch Mendelssohn und die Gebrüder Hermann und Raymund Härtel, seine wichtigsten Verleger, gehörten, einige seiner Werke vor und beeindruckte sowohl durch seine Kompositionen wie sein Spiel alle sehr. Am 18. September 1836 notierte Schumann in seinem Tagebuch: „Etüden komponiert mit großer Lust und Aufregung. Den ganzen Tag am Klavier.“ Es handelte sich um die Etüden 3, 6-9 und 11 der Druckversion von 1837, die teilweise extrem schwierig, teilweise ausgesprochen orchestral konzipiert sind und Chopin nur im technischen und musikalischen Anspruch, aber keineswegs im Stil nacheifern. Wegen Arbeitsüberlastung beider Seiten konnte die Ausgabe unter dem endgültigen Titel „XII Etudes Symphoniques“ op. 13 erst im Juni 1837 erscheinen.

Im Februar 1852 kam bei Schuberth & Comp. in Hamburg, Leipzig und New York eine Fassung mit der neuen Bezeichnung „Etudes en forme de Variations“ heraus. Diese Fassung, in der neben kleineren Eingriffen in den Notentext, vor allem im Finale, die Etüden 3 und 9, wohl wegen ihrer enormen technischen Schwierigkeiten und ihrer Ferne zum Thema, gestrichen sind, wird heute meistens gespielt, wobei man allerdings meist zu Recht nicht auf die beiden eliminierten Stücke verzichtet. Fünf weitere, von Schumann nicht veröffentlichte, aber musikalisch sehr reizvolle Variationen aus dem Autograph von 1835 wurden erst 1873 bei Simrock in Berlin von Johannes Brahms publiziert, allerdings mit zahlreichen Eingriffen in den Notentext und mehr oder weniger sinnvollen Ergänzungen der Dynamik und Phrasierung.

Die Sinfonischen Etüden haben auch einmal in Schumanns Privatleben eine entscheidende Rolle gespielt: Clara Wieck setzte drei von ihnen auf das Programm ihres Leipziger Konzerts am 13. August 1837 und gab damit Schumann nach langer schmerzlicher Zeit der vom Vater Wieck erzwungenen Trennung ein unmissverständliches Zeichen ihrer noch nicht erloschenen Neigung, das von diesem voller Freude empfangen wurde, so dass es kurz darauf zu einem erneuten gegenseitigen Treuegelöbnis kam.

Drei Empfehlungen heute zu Schumanns Opus 13: Daniil Trifonov spielte die Sinfonischen Etüden beim Verbier Musikfestival am 20. Juli 2014 in der Salle des Combins:

https://www.youtube.com/watch?v=CIWBd7-AP4Q

Am selben Ort erklang das Werk auf den Tag genau vier Jahre zuvor mit Yuja Wang:

https://www.youtube.com/watch?v=xM0U69psVbU&t=1s

Und zum Schluss noch Vladimir Ashkenazy in einem Mitschnitt aus der Londoner Royal Festival Hall im Jahr 1985:

https://www.youtube.com/watch?v=N088Me5TpYo

(Dieses Video kann leider nicht direkt eingebunden werden.)

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

 

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