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Musik in schwierigen Zeiten 224

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

wer zuletzt lacht... – so könnte das heutige Motto lauten. Giuseppe Verdi stellte sich im Alter die Frage, wie er seine Karriere als Opernkomponist beenden sollte. Fest stand: Es sollte kein tragisches Stück sein, und so wurde „Falstaff“ zu seinem letzten Bühnenwerk – ein finales Lachen über diese Welt.

Schon 1880, sieben Jahre vor der „Otello“-Premiere, hatte Giuseppina Verdi ihrem Mann geschrieben: „In Deiner Kunst kannst Du – abgesehen von einer opera comique – nicht höher steigen.“ Nach „Otello“ kümmerte sich Verdi erst einmal um das Krankenhaus für seine Bauern und die Casa di riposo – das Altersheim für Musiker, das er als sein „schönstes Werk“ ansah. Aber Arrigo Boito, Librettist des „Otello“, ließ nicht locker. 1890 köderte er ihn mit dem Entwurf zu „Falstaff“. Verdi reagierte unsicher: „Haben Sie an die enorme Zahl meiner Jahre gedacht?“ 1889 gelang es Boito, Verdi zu überzeugen: „Es gibt nur einen Weg, noch besser Schluss zu machen als mit ,Otelloʻ, nämlich siegreich mit ,Falstaffʻ zu enden. Nachdem Sie alle Schreie und Klagen des Menschenherzens ertönen ließen, mit einem Ausbruch von Heiterkeit abzuschließen.“ Nach kurzem Zögern erhielt der Dichter, der selbst ein versierter Komponist war, die Antwort des Maestro: „Amen, so möge es geschehen! Machen wir ,Falstaff!ʻ“

„Falstaff“ beruht überwiegend auf Shakespeares „Die lustigen Weibern von Windsor“ - eine Komödie, aus deren Grundzügen sich allerdings ebenso gut eine Tragödie machen ließe, so wie fast alle Opern Verdis Tragödien sind. Deren Muster besteht darin, dass ein Einzelner sich gegen die Mehrheit behaupten muss, in diesem Fall Sir John Falstaff, der unangepasste und unzeitgemäße Ritter.

Die Handlung in Kürze, in ausführlicher Form ist sie am Ende dieser Ausgabe zu finden: Sir John Falstaff, der enorme, immense Falstaff, wie er sich selbst begeistert nennt, ist in Schwierigkeiten. Sein Bauch, sein größter Stolz, Synonym seiner Stattlichkeit, braucht dauernde Pflege in Form von überreicher Zufuhr an Speisen und Getränken. Aus ebendiesem Grund aber sind seine Mittel erschöpft. Falstaffs Schläue soll Abhilfe schaffen, gepaart mit seiner Pracht als Mann: Er verfasst gleichlautende Liebesbriefe an Mrs. Alice Ford und Mrs. Meg Page, um mit den Herzen der Damen die Vermögen von deren Ehemännern zu erobern. Allerdings sind die beiden Damen dem großspurigen Galan überlegen, die Komödie nimmt ihren Lauf.

Ein Außenseiter hat eine geschlossene Gesellschaft herausgefordert, und die hat sich an ihm gerächt, hat es ihm in einer Verkleidungs- und Verstellungsorgie ohnegleichen heimgezahlt, ihm eine exorzistische Walpurgisnacht bereitet. Und doch bleibt Falstaff nur scheinbar unterlegen - am Ende gibt es keine eindeutigen Sieger und Besiegten. Das Fazit aus Verdis und Boitos Theaterwelt: Wo immer Menschen zusammentreffen und Einzelne mit einer Mehrheit in Konflikt geraten, sind sie einer unglücklichen und einer glücklichen Wendung der Dinge, sind sie einem tragischen und einem burlesken Ausgang gleich nahe.

Verdis „Falstaff“ ist eine echte Ensembleoper; zwischen Slapstick und Tiefsinn, Ironie und Philosophie bietet Verdis musikalisches Welttheater alles. Verdis letzte Oper gipfelt in der Schlussfuge „Alles ist Spaß auf Erden“. Zu dieser Einsicht kommt der feiste Ritter Falstaff, nachdem er auf die listigen Weiber von Windsor hereingefallen ist - und sogar in einem Waschkorb in der Themse landen musste. Wer zuletzt lacht...

Dass auch eine konzertante Aufführung einer Oper einen hohen Reiz hat, habe ich oftmals schon in Konzerten der Berliner Philharmoniker erleben dürfen. Und so möchte ich Ihnen heute auch zunächst eine solche konzertante Aufführung mit dem Chor und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Daniel Harding empfehlen – zumal die Titelrolle mit dem walisischen Bariton Bryn Terfel besetzt ist. Ihm gelingt hier der trinkfreudige und schlitzohrige Lebemann, der von einer Erniedrigung zur nächsten eilt, in einer furiosen Interpretation, die seinem Ruf als aktuell einem der besten Falstaff-Interpreten gerecht wird.

In der Aufführung vom 20. Januar 2017 in der Münchner Philharmonie singen außerdem Christopher Maltman (Ford), Martin Mitterrutzner (Fenton), Mikeldi Atxalandabaso (Dr. Cajus), Alasdair Elliott (Bardolfo), Mario Luperi (Pistola), Barbara Frittoli (Alice Ford), Laura Giordano (Nannetta), Judit Kutasi (Mrs. Quickly) und Laura Polverelli (Meg Page):

https://www.youtube.com/watch?v=6CcGi4E3fuQ

Wer Verdis letzte Oper mit Bühnenbild erleben möchte, dem empfehle ich die sehr traditionelle Inszenierung von Ronald Eyre im Londoner Royal Opera House Covent Garden aus dem Jahr 1982. Carlo Maria Giulini dirigierte nach über zehnjähriger Pause erstmals wieder eine Oper und die Besetzung war prominent besetzt: Renato Bruson (Falstaff), Katia Ricciarelli (Alice Ford), Leo Nucci (Ford), Brenda Boozer (Meg Page), Lucia Valentina-Terrani (Mrs. Quickly), Barbara Hendricks (Nannetta),

Dalmacio Gonzales (Fenton), William Waldermann (Pistol), Francis Egerton (Bardolfo) und John Dobson (Dr. Cajus):

https://www.youtube.com/watch?v=PEyAr1-x7Gc

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler