Musik in schwierigen Zeiten XXXII
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
unter den rund 600 Liedern von Franz Schubert ragt eines aufgrund seiner Besetzung besonders heraus: „Der Hirt auf dem Felsen“ entstand 1828 in seinem letzten Lebensjahr, neben Singstimme und Klavier ist die Klarinette noch als obligat geführtes Solo-Instrument beteiligt. Auftraggeberin des Werks war die Wiener Sopranistin Anna-Pauline Milder-Hauptmann. Was die berühmte, damals in Berlin wirkende Sängerin von einem Lied erwartete, hatte sie dem Komponisten schon einige Jahre früher in Briefen mitgeteilt: Die Komposition sollte „für ein großes Publikum“ berechnet, sie sollte „brillant“ sein und „sich in verschiedenen Zeitmaßen singen“ lassen, damit man "mehrere Empfindungen darstellen kann".
Gesagt – getan! Schubert stellte für die mehrteilige Gesangsszene Texte von Wilhelm Müller (dem Dichter der „Schönen Müllerin“ und der „Winterreise“) und Karl Varnhagen von Ense zusammen. Ein Hirt steht auf hohem Berge und lässt sein Lied durch die Täler erschallen. Im „Widerhall der Klüfte“ (sprich: im Echo einer Klarinette) fängt sich sein Gesang, und zwischen beiden entspinnt sich ein zarter Dialog: „Je weiter meine Stimme dringt, je heller sie mir wieder klingt – von unten.“ Den Beginn hat Schubert in eine pastoral-wiegende Weise gekleidet. Der Hirte erzählt von der Berglandschaft, in der er lebt, vom Liebchen, nach dem er sich sehnt, vom Gram seiner Nächte und der wunderbaren Macht des Himmels, die ihn beschützt. Dies alles mündet in dem Optimismus des Frühlings und des Neuaufbruchs:
Der Frühling will kommen,
der Frühling, meine Freud',
nun mach' ich mich fertig
zum Wandern bereit.
Entstanden ist eine stimmungs- wie wirkungsvolle Szene im Liedgewand, die Schubert seiner Auftraggeberin auf die Stimmbänder komponiert hat. Wie in italienischen Arien wird hier erst sehnsüchtig dialogisiert, dann virtuos konzertiert.
Eher zufällig bin ich auf den folgenden Mitschnitt gestoßen - drei junge Musiker haben 2016 im Kölner Sancta Clara Keller, dem historischen Gewölbe unter dem Stadtpalais am Römerturm, Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“ musiziert: Anna Lucia Richter (Sopran), Blaž Šparovec (Klarinette) und Nicholas Rimmer (Klavier). Anna Lucia Richter hat seit ihren Anfängen im Mädchenchor des Kölner Domchores eine bemerkenswerte Karriere gestartet, in der Spielzeit 2018/19 war sie bereits Artist in Residence in der Kölner Philharmonie; Nicholas Rimmer war in unserer Region in den vergangenen Jahren bereits zweimal Gast des Festivals „jung | klasse | klassik“.
Sie werden mit Sicherheit so viel Freude haben wie ich bei diesem Mitschnitt:
https://www.youtube.com/watch?v=XmPeoEvSXWc
Viel Spaß beim Zuschauen und herzliche Grüße
Matthias Wengler

Franz Schubert im Mai 1825
Gemälde (Ausschnitt) von Wilhelm August Rieder, gemeinfrei, Link