Musik in schwierigen Zeiten 71
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
manche Musikstücke strahlen so viel Ruhe aus, dass man das Gefühl hat, die Zeit würde angehalten werden. Ein solches Stück möchte ich Ihnen heute vorstellen: Franz Schuberts Notturno Es-Dur D 897.
Es handelt sich um ein einzelnes Adagio für Klavier, Violine und Violoncello, das 1827/1828 entstand, der Anlass zur Komposition ist unbekannt. Die Vermutung liegt nahe, Schubert habe dieses Es-Dur-Adagio als ursprünglichen langsamen Satz für sein B-Dur-Klaviertrio gedacht, bevor er es durch das heute dort befindliche Andante un poco mosso in Es-Dur ersetzte. Längst hat sich das Adagio als selbständiger Triosatz bewährt.
In seiner fünfteiligen Form lösen eine träumerisch leise Melodie im Zweiertakt und eine munter-kraftvolle Volksweise im Dreiertakt einander ab. Für diesen eigenwilligen Kontrast gibt es eine einleuchtende Erklärung: Angeblich soll Schubert für das zweite Thema eine Liedweise der Rammpfahlarbeiter aus Gmunden in Oberösterreich verwendet haben. Im Sommer 1825 durchwanderte er das Salzkammergut und kam so auch nach Gmunden, wo er bei diversen Mäzenen freundliche Aufnahme fand. Überall in der Region konnte er auf seiner Wanderung die „Stöckenschlager“ beobachten, die man auch „Rammer“ nannte, wie sie zum Pilotenschlagen beim Bau von Brücken und Schiffshütten ihre Lieder sangen.
Schubert verwendet in seinem Notturno ein Motiv, das erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Pilotenlied zeigt. In Schuberts Version spielen Violine und Cello die Liedmelodie, das Klavier bleibt erst begleitend, deutet dann aber mit lauten, perkussiven Akkorden das Einrammen des Pfahls an. Im Aufbau des Satzes unterbricht dieses muntere, laute Arbeitslied (Fortissimo in E-Dur, später in C-Dur) zweimal das verträumte, nächtlich leise Hauptthema in Es. Der Satz wirkt so, als werde ein Wanderer in seiner nächtlichen Träumerei durch den Gesang der „Stöckenschlager“ gestört, die noch vor der Morgendämmerung zur Arbeit am Fluss aufbrechen. Vielleicht hat Schubert tatsächlich ein solches „Programm“ im Sinn gehabt und den Satz doch als einzelstehendes Nachtstück für den Salon entworfen.
2018 musizierten im Amsterdamer Concertgebouw Gordan Nikolić (Violine), Sietse-Jan Weijenberg (Violoncello) und Lucas Jussen (Klavier) dieses Werk:
Mit diesem rund zehnminütigen Nachtstück wünsche ich Ihnen einen schönen Tag und grüße Sie herzlich aus Braunschweig
Matthias Wengler